Israel und Palästina

Der Nahostkonflikt oder das Israelproblem und der Mythos des jüdischen Volkes

Im Rahmen dieser Reise habe ich mich auch mit der Geschichte Israels und Palästinas beschäftigt und bin heute der Ansicht:

  • Die Existenz Israels ist ein Realpolitikum, abgesegnet durch die Vereinten Nationen, und muss auch von der arabischen Welt und den Palästinensern akzeptiert werden. So wie wir Deutschen auch die Oder-Neiße-Grenze zu Polen anerkennen und heute nicht mehr die Rückgabe der ehemals deutschen Gebiete fordern.
     
  • Die bis heute andauernde Besiedelungs- und Besatzungspolitik Israels ist unrechtmäßig und zerstört auf Dauer ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern. Gewalt erzeugt nur Gegengewalt.
     
  • Israel hat bis heute mehr als 1 Million palästinensische Menschen vertrieben. Hierfür gibt es keine ethische oder politische Berechtigung - das ist menschenverachtend und im höchsten Maße ungerecht.
    Bis heute ist für diese Flüchtlinge und Vertriebenen keine Lösung gefunden worden.
     
  • Menschen, die in ihrer Geschichte selbst so viel Unterdrückung, Entrechtung und Vertreibung erfahren hat, tun heute das Gleiche den Palästinensern an. Die vermeintliche Rückkehr der einen aus dem Exil verursacht nun das Exil der anderen.
     
  • Israel hat die Kolonialmacht England abgelöst und ist heute neben China eine der letzten Kolonialmächte dieser Welt. Unter diesen Umständen kann im Nahen Osten kein Frieden entstehen.
     
  • Israel darf keine neuen Siedlungen im Westjordanland oder in anderen besetzten Gebieten (z.B. Golan-Höhen) schaffen und muss sich im Rahmen des Friedensprozesses auf die Grenzen seiner Staatsgründung 1948 zurückziehen.
     
  • Die westlichen befreundeten Nationen und die Weltmacht USA dürfen Israel nicht mehr bedingungslos unterstützen, sondern müssen Israel zum Einlenken zwingen, wenn nötig mit wirtschaftlichen und politischen Sanktionen.

Die israelischen Geschichtsschreibung begründet das Existenzrecht Israels geschichtlich und mit der gemeinsamen Abstammung aller Juden.

 In der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel von 1948 steht:

“Nachdem das Volk aus seinem Land gewaltsam ins Exil vertrieben worden war, blieb es sich treu in allen Ländern der Zerstreuung und hörte nicht auf, zu beten und zu hoffen, dass es in sein Land zurückkehren und in ihm seine staatliche Freiheit erneuern würde. Wegen dieser historischen und religiösen Verbundenheit unternahm jede jüdische Generation jegliche denkbare Anstrengung, um in das alte Heimatland zurückzukehren und es in Besitz zu nehmen.”

Interessanterweise wird diese Geschichtsschreibung auch von Israelis in Frage gestellt. Bekanntester Kritiker ist der Intellektuelle Israeli Shlomo Sand, der an der Universität Tel Aviv als Professor Geschichte lehrt. Aufsehen erregte in aller Welt sein Buch “Die Erfindung des jüdischen Volkes - Mythos und Wahrheit”, das 2008 erschienen ist, in dem er der traditionellen israelischen Geschichtsschreibung widerspricht.

Ich finde seine Argumentation und Erklärung der jüdischen und israelischen Geschichte sehr überzeugend, und habe einiges davon auch in einer Fernsehsendung bestätigt gefunden. ARTE hat sie in 2013 neu ausgestrahlt: “Das Exil der Juden - Mythos und Geschichte”.

Im Wesentlichen habe ich Folgendes verstanden und halte es auch für glaubwürdig und nachvollziehbar:

  • Die Unabhängigkeitserklärung Israels von 1948 begründet das Existenzrecht des neuen Staates Israel quasi damit, dass die heutigen Juden die Nachkommen des jüdischen Volkes sind, das von den Römern nach den jüdischen Aufständen 66-74, 116 und 132-135 nach Chr. aus seinem Heimatland in alle Welt vertrieben worden ist (jüdische Diaspora). Diese Nachkommen sind heute noch ein Volk mit geneinsamer Abstammung, nationaler und religiöser Identität, das nun in seine angestammte Heimat zurückgekehrt ist und seine politische Freiheit wieder hergestellt hat.
    Für die gläubigen Israelis ist die jüdische Diaspora und die Rückkunft nach Israel in der Thora vorausgesagt und ist somit von Gott vorherbestimmt.
     
  • Nach dem zweiten Weltkrieg wollten sich die USA und England vor der Massenzuwanderung von entwurzelten europäischen Juden schützen, und England stellte als damalige Kolonialmacht in Palästina das notwendige Territorium zur Verfügung. Die ganze Aktion ließ man durch die UNO absegnen und mit der Staatsgründung Israels 1948 dachte man, alles wäre nun bestens geregelt.
  • Es gibt keine geschichtlich ernstzunehmenden Nachweise noch archäologische Befunde, dass die Römer die Juden im großen Stil vertrieben haben. Das wäre auch unüblich für die Römer gewesen, denn eine entvölkerte Provinz hätte keine Steuern entrichten können.
    Auf unserer Reise haben wir auch gelernt, dass es Städte wie Sepphoris gab, die sich nie am Aufstand gegen die Römer beteiligt haben. Und der jüdische-stämmige Chronist Josephus Flavius, der den jüdischen Aufstand ausführlich und mit Übertreibungen beschrieben hat, hat nie von der Vertreibung und dem Exil der Juden berichtet. 
     
  • Die Israeliten haben das Gebiet des heutigen Israels vor mehreren tausend Jahren erobert, aber nur für kurze Zeit bestand ein Staat Israel (unter König David, Salamon und einigen Nachkommen), der etwa 700 vor Christus aufgehört hat zu existieren. Zur Zeit Jesu war das Gebiet römische Provinz und unterteilt in Judäa (Jerusalem und der Süden), Samaria und Galiläa.
     
  • Etwa 200 n. Chr. wurde das Gebiet von den Römern in Palästina umbenannt und dieser Name hatte Gültigkeit bis zur Staatsgründung Israels, also rund 1750 Jahre.
     
  • Vor zweitausend Jahren lebten im Römischen Reich und anderen Regionen mehr Juden als in Judäa, Samaria und Galiläa selbst. Diese Juden waren zum größten Teil zum Judentum konvertiert und stammen aus den Ländern, in denen sie gewohnt haben. Also die meisten Juden in Ägypten waren Ägypter, die meisten Juden in Rom waren Römer, die meisten Juden in Arabien waren Araber. In den folgenden Jahrhunderten sind ganze Bevölkerungsgruppen und Stämme in Arabien, Nordafrika und sogar das Königreich der Chasaren im Kaukasus zum Judentum übergetreten. Denn für einige Jahrhunderte war der jüdische Monotheismus eine attraktive Alternative zum oft menschenverachtenden Polytheismus der Römer und anderer Völker.
    Später allerdings wurde die Attraktivität des Judentums durch das aufkommende Christentum und die islamische Eroberung verdrängt.
     
  • Die Juden, die in den heutigen Staat Israel immigriert sind und immer noch immigrieren, sind zum größten Teil Nachkommen dieser konvertierten Juden. Diese Juden haben in ihrer zweitausendjährigen Geschichte nie eine Rückkehr nach Palästina bzw. Israel angestrebt. Warum auch - sie haben abstammungsmäßig keine Verbindung zu diesem Land.
     
  • Erst Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen des Zionismus als Folge der Entstehung europäischer Nationalstaaten entstand eine jüdische Bewegung, die alle Juden in einem eigenen Nationalstaat zusammenführen wollte. Neben Paraguay war auch Uganda als Siedlungsgebiet im Gespräch, letztendlich hat sich aber die Idee von Theodor Herzl mit einem jüdischen Staat in Palästina durchgesetzt.
     
  • Genauso wenig wie es ein christliches, ein buddhistisches oder islamisches Volk gibt, gibt es heute ein jüdisches Volk. Das Judentum ist ein Religion, die sich wie andere Religionen über ihr Entstehungsgebiet hinaus ausgebreitet hat. Alttestamentliche Schriften, die vor 2700 Jahren entstanden sind, taugen nicht als ernstzunehmender Gegenbeweis für die Geschichte, die 700 Jahre später angefangen hat.
     
  • Wenn die Juden nie aus Palästina vertrieben worden sind, dann sind die heutigen Palästinenser die wahren Nachkommen der Juden von vor 2000 Jahren. Nachdem das Christentum erstarkte und sich ausbreitete, sind viele Juden in Palästina zum Christentum übergetreten. Dies wurde natürlich auch durch die Herrschaft vom christlichen Byzanz gefördert. Nach der arabischen Eroberung und der Ausbreitung des Islams seit dem 7. Jh. sind dann viele Christen, aber auch viele verbliebenen Juden, Muslime geworden - teilweise freiwillig, teilweise erzwungen.

Wenn wir den Palästinensern Gerechtigkeit zukommen lassen wollen, dann sollten Israel und seine Verbündeten die Geschichtsschreibung korrigieren und die vermeintliche Vertreibung und Rückkehr der Juden sowie die heutige israelische Kolonialpolitik objektiv diskutieren. Jegliche Kritik der israelischen Politik wird heute mit Antisemitismusvorwürfen abgewehrt. Das muss aufhören.

Nicht alle Israelis und Juden sind Zionisten, die die Siedlungs- und Besetzungspolitik Israels und die Unterdrückung und Entrechtung der Palästinenser gutheißen, das bezeugt die unten abgebildete Postkarte.
 

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Hier sehen wir wie Israel nach und nach ursprünglich palästinensisches Land annektiert hat. Grün steht für palästinensisches Land, weiß für israelisch besiedeltes Land. Ende des 19. Jh. entstand die zionistische Bewegung mit dem Ziel Emmigration von Juden nach Palästina. Bis 1946 gab es nur wenige jüdische Siedlungen. Sie lagen vor allem an der Mittelmeerküste und im Norden (1. Abb.). Die zweite Abbildung zeigt den Grenzvorschlag der UN von 1947. Abbildung 3 zeigt den Grenzverlauf nach der Proklamation des neuen israelischen Staates 1948. Israel hat sich mehr Land angeeignet als die UN vorgeschlagen hatte. Die vierte Abbildung zeigt die aktuelle Situation. Seit dem Sechstagekrieg 1967 hat Israel mit seiner Besiedelungs- und Besatzungspolitik den größten Teil des Westjordanlandes annektiert. Die Palästinenser haben kein zusammenhängedes Siedlungsgebiet mehr. Wenn sie z.B. Verwandte an anderen Orten besuchen oder zur Arbeit in einen Nachbarort fahren wollen, dann müssen sie damit rechnen, durch israelische Straßenkontrollen gegängelt zu werden. Diese Besiedelungspolitik und Landnahme hält immer noch an und es gibt keine Anzeichen, dass Israel damit aufhören möchte bzw. von den USA oder der EU gestoppt wird. USA und die EU unterstützen eine Zweistaatenlösung, die allerdings gar nicht mehr realistisch ist, wenn man die heutige Siedlungssituation sieht. Es ist nämlich nicht damit zu rechnen, dass Israel die besetzten Gebiete (ca 355 Siedlungen) wieder räumt und zehntausende Israelis wieder umsiedelt. Dies sollte eigentlich auch unseren Politikern klar sein. Ich frage mich, warum diese israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik von unseren Politikern nicht vehement kritisiert und mit Sanktionen bedacht wird?